Digitalisierung: Baustellen trotz Boost

Die Digitalisierung schreitet mit immer größeren Schritten voran. Doch nach wie vor besteht jede Menge Aufholbedarf an der Basis. Wo sich offene Flanken zeigen und wie man gegensteuern könnte, analysieren UBIT-Obmann Alfred Harl und der Online-Marketing-Experte Hannes Kirchbaumer.

 

Angesichts der Tatsache, wie viel 2020 vom „Digitalisierungsschub“ die Rede war, ist es fast verwunderlich, dass der Ausdruck nicht zum Wort des Jahres gewählt wurde. Doch egal wie inflationär der Begriff auch verwendet wurde, Alfred Harl, Obmann des Fachverbands Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT (UBIT) der Wirtschaftskammer Österreich, freut sich über die rasante Entwicklung der Digitalisierung: „Corona hat uns schlagartig ins Digitalzeitalter hineingebeamt. Die Situation brachte nicht nur eine Verbesserung, sondern einen echten Digitalisierungs-Boost.“ Eine Entwicklung, die sich auch in Studien positiv niederschlägt. Im globalen Digitalisierungsindex Enabling Digitalization Index von Acredia besetzt Österreich zum Beispiel Platz 13 von insgesamt 115 Ländern. Das Ranking bewertet den Status quo, aber auch Rahmenbedingungen wie Regulierung, Wissen, Konnektivität und Infrastruktur. Im Digitalisierungsindex der Europäischen Kommission liegt Österreich dagegen nur im Mittelfeld und etwas über dem EU-Schnitt.

 

Schmerzpunkt Bildung

Egal, welcher Untersuchung man glauben schenken möchte: Luft nach oben ist also in jedem Fall vorhanden. Den größten Handlungsbedarf sieht Alfred Harl bei Fachkräften und der Infrastruktur für schnelles Internet. Bis zu 24.000 IT-Fachkräfte dürften der Wirtschaft aktuell schmerzlich fehlen. Alfred Harl sieht die Lösung für die Misere vor allem im Bildungsbereich. In Schulen, Universitäten und sogar im Kindergarten wünscht er sich große Veränderungen: „Wir brauchen die Einführung von IT ab dem Kindergarten, nicht erst beim Studium. Es muss selbstverständlich sein, dass Kinder eine kleine IT-Sprache lernen. Nicht, damit sie Programmierer werden, aber sie müssen die Zukunft verstehen, sonst werden sie sich später schwer tun.“ Im Schulsektor brauche es auch eine Reform des Informatik-Unterrichts. Man müsse zunächst sicherstellen, „dass die Lehrerinnen und Lehrer topgeschult sind“. Und auf universitärer Ebene wünscht sich Harl ein „klares Leitsystem“, das die richtigen Studierenden anspricht, ihnen das Studium schmackhaft macht und dafür sorgt, dass sie es auch abschließen. Bezogen auf die hohe Dropout-Quote von ca. 50 Prozent der IT-Studierenden an Unis und Fachhochschulen sagt Harl: „Wir müssen alles tun, um die Studenten auch im Studium zu halten.“

 

Scheitern an den Basics

Auch Hannes Kirchbaumer, Unternehmensberater mit Schwerpunkt auf Online-Marketing und digitale Transformation, sieht hohes Potenzial für Verbesserungen. Wichtig ist ihm aber vor allem eine korrekte Herangehensweise. Der Begriff Digitalisierung ist seine Ansicht nach nämlich längst überholt: „Wir müssen nicht mehr von Digitalisierung sprechen, denn wir leben bereits in einer digitalen Welt.“ Er mache deswegen auch Strategieberatung in einer digitalen Welt – nicht digitale Strategieberatung. Er hat beobachtet, dass in der Pandemie viele Unternehmen ihre Workflows optimiert und auf digitale Kommunikation umgestellt haben. Doch würden sie digitale Ansätze noch viel zu selten als Möglichkeit für neue Geschäftsmodelle sehen: „Die Ideen der Unternehmensführung gehen oft weiter als die realen Umsetzungsmöglichkeiten im Unternehmen, wo man häufig schon an Basics scheitert. Zum Beispiel am digitalen Abbilden der Unternehmensprozesse.“ Den größten Handlungsbedarf im Alltag sieht Kirchbaumer im Bereich der Datenverwaltung: „Es gibt schon viele Unternehmen, die Daten sammeln, aber oft wissen sie nicht, wie sie diese nutzen können.“ Beispielsweise hätten zwar viele Daten ihrer Kunden gesammelt, wüssten aber nicht, wie sie diese segmentieren sollen. Oder sie setzen auf Automated Marketing-Tools und verschicken einen Newsletter an 100.000 Leute, mit dem sie aber nicht jene erreichen, die wirklich am Thema interessiert sind. Kirchbaumer: „Das Wichtigste wäre, Client Data Management zu einer wichtigen Funktion im Unternehmen zu machen.“

 

Geschäftsmodelle verstehen

Der Bildungsbereich bereitet auch Kirchbaumer Sorgen: „Realität und Lehrpläne passen nicht zusammen. Wir haben zwar Tablets und machen Homeschooling, aber mir fehlt das digitale Geschäftsmodell-Denken.“ So wüssten viele junge Menschen etwa nicht, welche Geschäftsmodelle hinter Influencern auf TikTok und Instagram stecken: „Es braucht die Vermittlung digitaler Medienkompetenz – auch, um zwischen echten Fakten und Fake News unterscheiden zu können.“ Dieses Thema schließt nahtlos an eine andere digitale Großbaustelle an: die IT-Security. Während der Pandemie ist die Cyberkriminalität extrem angestiegen. Bildung wäre auch hier nötig: „IT-Security hat mit digitaler Kompetenz zu tun, die fehlt.“ Aber auch Regulierungen seien wichtig: Während die Zwei-Faktor-Authentifizierung schon relativ weit verbreitet ist und Banking-Apps mit Video-Verifizierung arbeiten, ist der Bestellbetrug durch die Möglichkeit der Zahlung auf Rechnung noch immer ganz einfach. Kirchbaumer: „Die Digitalisierung schreitet weltweit voran, aber die Regulierungen – von der Gewerbeordnung bis zur regionalen Verwaltung – können nicht mehr Schritt halten.“

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